Schleswig-Holsteinischer NDR verspielt die letzten Reste an Glaubwürdigkeit
Norbert Lorentzen und Julia Stein müssen gehen
Man sollte meinen, in der ARD sei man nach der Affäre um die ehemalige RBB-Intendantin Patricia Schlesinger hinreichend sensibilisiert, um weiterer Kritik an Missständen in ihren Funkhäusern durch vollumfängliche Transparenz und Aufdeckung zu begegnen. Nichts dergleichen lässt sich im Zuge der Aufarbeitung der nur als „Regierungsfunk“ Skandal zu bezeichnenden Affäre verzeichnen. Die Vorwürfe sind so offensichtlich und manifest, dass sie sogar dem fassungslosen Konsumenten der „Qualitätsmedien“ gleichsam in die Augen springen. Nur so viel sei hier zum Vorwurf politischer Liebedienerei festgehalten:
Ein Journalist des NDR wollte seinerzeit ein Interview mit dem im Frühjahr 2020 entlassenen Landesinnenminister Hans-Joachim Grote zur Aufklärung der ihm von Daniel Günther entgegengehaltenen Vorwürfe führen. Der Chefredakteur des Landesfunkhauses, Norbert Lorentzen, und die Politikchefin Julia Stein lehnten dies ab, woraufhin der betreffende Journalist sich bei dem Redaktionsrat des Senders über deren Einflussnahme beschwerte. Nach nahezu 1½-jähriger Untersuchung fand der Redaktionsausschuss die gegen das Interview vorgebrachten Argumente von Lorentzen und Stein nicht überzeugend und kam zu dem außerordentlich bemerkenswerten Schluss, dies sei kein Einzelfall. Möglicherweise beruht dieses Ergebnis auf der Beschwerde weiterer neun Mitarbeiter, die sich in den letzten beiden Jahren ebenfalls beschwert hatten und unter anderem einen „politischen Filter“ und ein „Klima der Angst“ reklamierten, das in der Redaktion bestehen soll. Beiträge seien in den Abnahmen massiv verändert worden, und Führungskräfte im Sender würden sich wie „Pressesprecher der Ministerien“ verhalten. Man spreche teilweise nicht vom Ministerpräsidenten Daniel Günther oder seinem damaligen Stellvertreter Heiner Garg, sondern von ‚Daniel‘ und ‚Heiner‘.
Die Vorwürfe richten sich zentral gegen einen Maschinenraum des öffentlich-rechtlichen Rundfunks, nämlich gegen die Führungsebene des mittels staatlicher Zwangsgebühren der GEZ unterhaltenen Landesfunkhauses Schleswig-Holstein. Nicht nur, dass es beim NDR scheinbar eine zu große Nähe von Journalisten zu der Landesregierung Schleswig-Holstein und mutmaßlich einen „politischen Filter“ gegeben hat. Es kommt außerdem hinzu, dass 72 (!) Beschäftigte aus der Redaktion sich in einem Brief von dem unwürdigen Verhalten ihrer Vorgesetzten distanziert und „eine lückenlose und transparente Aufarbeitung aller Vorwürfe“ gefordert haben. Selbst der 33-seitige Bericht des Redaktionsrats spricht von „großem Druck“. Wie groß diese Krise tatsächlich ist und welche Konsequenzen aus ihr gezogen werden müssen, das soll nun ein aus zehn Personen verschiedener gesellschaftlicher Institutionen und Verbände bestehendes Aufsichtsgremium, der Landesrundfunkrat klären, der erst seit einigen Wochen in dieser Konstellation zusammenarbeitet.
Nun, so weit so gut – aber wie geht die Hausspitze selbst mit dieser Affäre um? Es geht hier nicht um handwerkliche Fehler oder suboptimale Arbeitsergebnisse, sondern immerhin um eine Verschmelzung der sogenannten „vierten Gewalt“ mit der Exekutive und damit um ein zentrales Demokratieversagen. Norbert Lorentzen erklärte, man weise den „Vorwurf politischer Einflussnahme auf unsere Programme entschieden zurück“. Ähnlich wie der NDR selbst den Vorwurf schmallippig in Abrede nahm, es habe einen „politischen Filter“ im Landesfunkhaus Schleswig-Holstein gegeben. Eine solche Reaktion erscheint mittlerweile typisch für die Mitglieder der oberen Ränge im öffentlich-rechtlichen Rundfunk zu sein. Kann man hier von der Leitungsebene nicht ein gewisses Verständnis für das Vorbringen der eigenen Mitarbeiter oder demütige Einsicht in eigenes Fehlverhalten erwarten?
Nein, keineswegs! Zwar gab der NDR zwischenzeitlich bekannt, dass der Chefredakteur und die Politik-Leiterin in Schleswig-Holstein nicht mehr in die Berichterstattung über die Vorgänge im eigenen Haus eingebunden seien. Dieser Schritt reicht aber vor dem Hintergrund der skandalösen Vorfälle bei weitem nicht aus. Norbert Lorentzen und Julia Stein, die dem Vernehmen nach mit dem Ministerpräsidenten „per Du“ ist, arbeiten weiter in der Leitungsebene des Funkhauses. Die Vorwürfe einer regierungskonformen Berichterstattung und eines Redaktionsklimas der Einschüchterung und der Angst betreffen unmittelbar ihren Verantwortungsbereich. Die Maßnahme ändert nichts daran, dass beide weiter Vorgesetzte der mutigen Mitarbeiter bleiben, die sich zuvor über ihr skandalöses Fehlverhalten beschwert haben. Es reicht daher schlichtweg nicht aus, die beiden Journalisten aus der Führungsebene nur von der Berichterstattung über die Vorgänge im Funkhaus freizustellen. Sie müssen unverzüglich gehen, sollen sich nicht die letzten Fragmente der Reputation des NDR auflösen wie Butter in der Sonne. Es sei hier erneut hervorgehoben: bis zur abschließenden Aufklärung der Affäre gilt für beide die Unschuldsvermutung. Allerdings wird der Direktor Volker Thormählen seine beiden Kollegen zumindest bis dahin vorläufig suspendieren müssen, will er nicht riskieren, am Ende selbst von der Affäre hinweggespült zu werden.