Das Landesschiedsgericht – Fügsam oder Unabhängig?
Die Niederlagen des Bundesvorstands in dem Parteiausschlussverfahren unserer früheren Vorsitzenden Doris von Sayn-Wittgenstein und dem des baden-württembergischen Landtagsabgeordneten Dr. Wolfgang Gedeon vor unserem Landesschiedsgericht haben zu einer gewissen Unruhe in der Partei geführt. Man diskutiert, ob die Kammer nicht auch die politischen Vorgaben des Bundesvorstands ebenso wie ein etwaig negatives Echo der Öffentlichkeit auf die beiden Entscheidungen hätte berücksichtigen müssen. Auch befürchtet man, die Mitglieder des Gerichts – und hierbei insbesondere dessen Vorsitzender – wären ausweislich der Begründung der Entscheidungen genauso rechtslastig wie die jeweiligen Antragsgegner oder teilten gar deren politische Einstellung.
Anlässlich dieser Diskussion ist zunächst ein grundsätzlicher Blick auf den Aufgaben- und Pflichtenkreis eines Parteischiedsgerichts angezeigt: Das Schiedsgericht nimmt eine für das politische Leben einer Partei äußerst wichtige Funktion wahr. Dieser kann es grundsätzlich nur unter Wahrung der ihm nach der parteiinternen Verfassung auferlegten Unabhängigkeit nachkommen. Die politischen Parteien haben in Art. 21 GG einen eigenen Grundrechtsartikel, wonach sie bei der politischen Willensbildung des Volkes mitwirken. Ihre innere Ordnung muss demokratischen Grundsätzen entsprechen. Diesem Vorbild muss gerade auch eine junge Partei wie die AfD, die sich nach ihrer Programmatik insbesondere der Rechtsstaatlichkeit verpflichtet hat, in besonderem Maße entsprechen, will sie nicht in der Öffentlichkeit unglaubwürdig erscheinen. Zu dieser innerparteilichen Verfassung gehört auch das Prinzip der Gewaltenteilung. Will man dieses etwa mit der staatlichen Gewaltenteilung vergleichen, so entspräche der Bundes, bzw. jeweilige Landesvorstand der Regierung und die wahlberechtigten Mitglieder auf den Wahlparteitagen den Parlamenten. Nach diesem Modell – wie kann es anders sein – entsprächen dann die Schiedsgerichte der Judikative. Das einzelne Mitglied wäre danach der Souverän d.h. auf staatlicher Ebene die Wählerschaft unseres Volkes.
Nach diesen Vorgaben muss die der Partei auferlegte Willensbildung grundsätzlich von unten nach oben erfolgen. Andererseits ist eine funktionale Partei natürlich ohne jedwede Hierarchie nicht denkbar. Dies muss bedeuten, dass wir den jeweiligen Vorständen in ihren exekutiven Aufgaben Folge zu leisten haben, d.h. insbesondere im administrativen, regelnden und verwaltenden Bereich. Dies betrifft natürlich auch Fragen der Personalpolitik. Als Korrektiv hierzu sind wiederum die Vorstände verpflichtet, sich ihrerseits nicht mit dem Ziel der Personallenkung in die von unten nach oben stattfindenden Willensbildungsprozesse einzumischen. Das ist ebenso unzulässig. Die Politik wird durch jedes einzelne Mitglied geprägt, vorangetrieben und verantwortet. Dies nennt man Willensbildung. Und hierauf darf nur auf politischer Ebene Einfluss genommen werden; dies bedeutet, dass sich auch die jeweiligen Vorstände dem demokratischen Dialog verpflichtet wissen müssen. Anordnungen sind auf dieser Ebene fehl am Platze.
Nun führt nach meiner Erfahrung fast immer die Überschreitung der jeweiligen Zuständigkeitsbereiche zu Konflikten innerhalb der Partei. Diese gründen meist auf unterschiedliche Bewertungen politischer Sachverhalte. In einer solchen Situation zeigt die Anrufung des Schiedsgerichts ausnahmslos, dass bis dahin die politischen Lösungsmodelle zur Befriedung des Konflikts ungeeignet waren. Allein aus diesem Grunde erweist sich, dass das Schiedsgericht auf ein anderes Instrumentarium als das der Politik zurückgreifen muss, nämlich auf ein rechtliches Instrumentarium. Allein auf der Grundlage des Rechtes muss es dem Schiedsgericht gelingen, die Beteiligten wieder zu einer zielführenden Kommunikation zurück zu führen.
Dies vorweg, komme ich nun zu den beiden Parteiausschlussverfahren des letzten Jahres. Natürlich dürfen diese auch parteiintern kritisiert werden. Auch ein Gericht ist nicht sakrosankt. Die Kritik sollte sich allerdings insbesondere darauf erstrecken, dem Schiedsgericht Versäumnisse im Hinblick auf einen Verstoß gegen die eigene Unabhängigkeit vorzuwerfen. Mit anderen Worten: Unterwirft sich der Richter äußeren Einflüssen oder hält er sich von diesen fern?
Zu dem ersten Teil der oben umrissenen Diskussion in der Partei lässt sich wohl gerade umgekehrt festhalten, dass sich die Kammer einer Einflussnahme von außen entzogen hat, da der Bundesvorstand mit seinen Ausschlussanträgen beide Male ohne Erfolg geblieben ist. Die Berücksichtigung politisch erwünschter Vorgaben würde wohl eher den Verdacht auf eine Abhängigkeit oder sonstige Weisungsgebundenheit der Kammer schüren. Dem war sich die Kammer unabhängig davon bewusst, dass der anschließende Widerhall in den Medien ein gefundenes Fressen für unsere politischen Gegner werden würde, denn es wurde – wie stets in diesen Fällen – dem Schiedsgericht und dann natürlich auch der Partei insgesamt eine Rechtslastigkeit vorgehalten. Diese Resonanz in der Öffentlichkeit erträgt das Schiedsgericht mit Würde. Es muss sich einen Blick auf die absehbaren Folgen seiner Entscheidung grundsätzlich versagen und hat dies in beiden Fällen auch mit Erfolg getan. Die andere Befürchtung, der Vorsitzende der Kammer teile die Ansicht der beiden Antragsgegner oder mache sich deren politische Bewertungen zu Eigen, hätte ich bei politisch bewussten Mitgliedern einer Partei wie der unseren schlichtweg nicht mehr für möglich gehalten, so dass sich eigentlich jedwede Stellungnahme erübrigt. Gleichwohl sei sie hier abgegeben: Eine Holocaustleugnung in jeglicher Form will und kann ich alleine schon deswegen nicht tolerieren, weil diese strafbar ist. Wieso sollte ich eine strafbare Handlung tolerieren, die ich in meinem Beruf nicht tolerieren darf und auch nicht toleriere? Ähnliches gilt für die Frage des Antisemitismus. Hier bedürfen diejenigen Mitglieder wohl dringend der Nachhilfe, die von einer Niederlage des Bundesvorstands in den beiden Ausschlussverfahren und von dessen nicht entscheidungserheblichen Vorwürfen Rückschlüsse auf die politische Einstellung des Vorsitzenden der Kammer ziehen wollen.
Maßstab unserer Kammerentscheidungen ist und bleibt allein das Recht. Nach diesem Maßstab ist der Bundesvorstand im Wesentlichen – mit kleinen Ausnahmen – noch nicht einmal in der Lage gewesen, die formellen Voraussetzungen eines Parteiausschlussverfahrens einzuhalten, sodass die Kammer letztlich in beiden Ausschlussverfahren zu den eigentlichen Fragen nicht hat Stellung nehmen müssen und dürfen. Gerade diese beiden Verfahren haben aus der Sicht der Kammer deutlich gemacht, dass sich der Bundesvorstand künftig sehr sorgfältig mit den Grenzen seines Zuständigkeitsbereichs auseinanderzusetzen, und vor allem die materiellen Voraussetzungen eines wirksamen Parteiausschlusses rechtssicher herbeizuführen hat. Er ist keineswegs befugt, missliebige Parteimitglieder ohne viel Federlesens aus der Partei zu werfen.
Hierzu wird das Landesschiedsgericht dem Bundesvorstand auch zukünftig niemals die Hand reichen.