Corona-Hysterie und Rechtsstaat

Als größte Oppositionspartei im Deutschen Bundestag und insbesondere Rechtsstaatspartei gehört es zu unseren vornehmsten Aufgaben, die Bundesregierung stets daran zu erinnern, dass sie jederzeit und ausnahmslos gehalten ist, die Regeln rechtsstaatlichen Handelns zu beachten – auch und gerade in der schweren Krise, in der sich unser Land seit Anfang des Jahres befindet. Wie schon in vorangegangenen Krisen, zu denen ich bereits mehrfach Stellung genommen habe (z. B. nur Fukushima-Atomausstieg, Migration), zeichnet sich das Handeln der Bundesregierung auch heute wieder nicht nur durch eine erschreckende Mediokrität aus, sondern durch eine wenn nicht Missachtung, jedoch zumindest Geringschätzung rechtsstaatlicher Anforderungen.

Am 31. Dezember 2019 zeigte China gegenüber der WHO erstmals ein Geschehen an, welches wir heute als Corona-Pandemie bezeichnen. Die erste Corona-Infektion bei uns wurde gut drei Wochen später am 27. Januar 2020 bekannt gegeben. Die nächsten beiden Monate stiegen die Zahlen der Todesfälle mit Corona-Beteiligung nur äußerst langsam an. Die Bundesregierung, vertreten durch den Bundesminister Jens Spahn zeichnete sich anfangs weitgehend durch Beschwichtigung, Passivität und Fehlentscheidungen aus (z.B. Abgabe der Atemmasken an China). Allerdings wurden dann schon am 9. März 2020 Großveranstaltungen abgesagt und bereits am 16. März 2020 die Schließung vieler Geschäfte, Bars und Theater verfügt. Am 20. März 2020 wandte sich dann schließlich das Robert-Koch-Institut mit einer geradezu furchterregenden Erklärung an die Öffentlichkeit, wonach infolge der Infektionswelle mit mindestens 300.000 wenn nicht sogar 1,5 Millionen Toten gerechnet werden müsse. Nach den durch das Institut selbst veröffentlichten Zahlen war jedoch die sogenannte Reproduktionsrate bereits zu diesem Zeitpunkt unter den Faktor 1,0 gesunken (!) und hat diesen seither auch nicht wieder überschritten (derzeit 0,9). Nach der überwiegenden Ansicht von Seuchenmedizinern ist der Höhepunkt einer Infektionswelle jedoch überschritten, wenn ein Erkrankter im Durchschnitt weniger als einen anderen Gesunden infiziert. Nur drei Tage nach dem Weckruf des Robert Koch Instituts verfügte die Bundesregierung dann unter dem 23. März 2020 die Schließung der gesamten Volkswirtschaft mit Ausnahme systemrelevanter Bereiche, wobei diese Maßnahme (shut down) bis zum 3. Mai 2020 befristet wurde. Zwei Tage später verkündeten die Medien dann am 25. März 2020 den immerhin 100. Todesfall (!) unter Corona-Beteiligung. Auch wenn die Maßnahmen anlässlich einer Ministerpräsidentenkonferenz unter Beteiligung der Bundeskanzlerin am 15. April 2020 etwas abgemildert wurden (Öffnung auch nicht systemrelevanter Bereiche des Handels unter Beachtung gewisser Sicherheitsvorkehrungen) sollen sie zunächst grundsätzlich bis zum 3. Mai 2020 fortdauern.

Als größter Oppositionspartei obliegt es uns jetzt zum einen nicht nur das inkonsistente, zum Teil widersprüchliche und in jeder Hinsicht hysterische Agieren der Bundesregierung zu hinterfragen. Auch der Bundesgesundheitsminister selbst räumt ein, sich nach der Krise wohl bei vielen Menschen (für welche Fehler?) entschuldigen zu müssen. Wir haben als Opposition bisher auch unserer Aufgabe hinreichend entsprochen, bessere und vernünftigere Handlungsalternativen aufzuzeigen (Forderung nach anderweitigem Schutz der speziellen Risikogruppen, vorzeitige Lockerung der Maßnahmen usw.). Zum anderen verdient allerdings folgendes ein bisher wenig beachtetes Augenmerk: die Bundesregierung hat wieder einmal mit ihrem nervösen, zum Teil überstürzten Handeln die Grenzen des ihr durch Recht und Gesetz vorgegebenen Handlungsrahmens überschritten. Dies scheint mittlerweile zulasten der Demokratie zum Markenzeichen unserer schwachen Kanzlerin-Regierung geworden zu sein. Hier muss unsere Partei bei ihrer Aufgabenwahrnehmung noch deutlich aktiver werden.

Novelle des Infektionsschutzgesetzes mit heißer Nadel genäht

Die Bundesregierung hat unter Federführung des Bundesgesundheitsministers etwa in ihrer Corona-Hektik die Novelle des Infektionsschutzgesetzes so schnell “mit heißer Nadel genäht“, dass sich bereits auf erste Sicht deutliche verfassungsrechtliche Fragen ergeben. Die Corona Maßnahmen bringen eine bisher nie dagewesene Flut von Einschränkungen für den Bürger mit sich: Kontaktverbote, Abstandsgebote, Maskenzwang, Einreisebeschränkungen, Schließung von Schulen, Kitas, Gastronomie und Gottesdienstverbote sowie harte Sanktionen bei Verstößen – ist das alles wirklich rechtmäßig oder hat der Staat die Grenzen der Verhältnismäßigkeit schon überschritten?

Die formelle Rechtmäßigkeit des neuen Infektionsschutzgesetzes scheint nicht in jeder Hinsicht gegeben zu sein: neben an sich unwesentlichen Bedenken der Rechtsförmlichkeit (die Novelle ist allein in drei Artikel aufgeteilt) bestehen Bedenken an der Novelle als ein klassisches Maßnahmegesetz, auch wenn das Bundesverfassungsgericht im Laufe der Zeit das generelle Verbot von Maßnahmegesetzen mehr und mehr aufgeweicht hat. Ferner bestehen Zuständigkeitsbedenken, denn das Gesetz greift zum Teil in Gestalt einer Ermächtigung des Bundesgesundheitsministers tief in den ureigentlich den Ländern zustehenden Gesundheitsbereich ein. Auch dies ist nicht generell unzulässig, erscheint allerdings insoweit kritisch, als dem Bundesgesundheitsminister die Befugnis eingeräumt wird, im Wege von Einzelanordnungen in die jeweilige Länderhoheit einzugreifen.

Gravierende Grundrechtseinschränkungen

Der hauptsächliche Kern der verfassungsrechtlichen Kritik richtet sich allerdings gegen den materiellen Gehalt der Novelle: es ist sehr fraglich, ob die zum Teil gravierenden Grundrechtseinschränkungen dem Verhältnismäßigkeitsprinzip genügen – dies werden die ausstehenden Verfassungsgerichtsentscheidungen sowohl auf Länder- als auch auf Bundesebene alsbald erweisen. In der Folge solcher Entscheidungen wird die Justiz mit Sicherheit ein erheblicher Arbeitsanfall aus dem Gesichtspunkt des enteignenden oder enteignungsgleichen Eingriffs treffen in Gestalt geltend gemachter Schadensersatzforderungen geschädigter Bürger. Wenn man etwa die Entschädigungszahlungen von VW anlässlich des Dieselskandals zum Vergleich heranzieht, würde mich nicht überraschen, wenn diese Forderungen insgesamt schnell die Milliardengrenze überstiegen.

Zwar hat das Bundesverfassungsgericht eine im Wege des Eilantrages vorgelegte Verfassungsbeschwerde gegen die Grundrechtseinschränkungen der Novelle nicht zur Entscheidung angenommen; allerdings hat es dies nicht inhaltlich begründet, sondern allein im Wege einer Folgenabschätzung entschieden, dass das Gesetz vorerst anzuwenden sei, weil noch nicht absehbar erscheine, wie sich die Fallzahlen der Epidemie entwickelten. Das Verfahren zur Hauptsache wird insoweit noch die eine oder die andere Überraschung ergeben.

Aber auch die untergesetzlichen Maßnahmen der Bundesregierung stehen deutlich im Fokus richterlicher Kritik. Dabei ist anzumerken, dass sich eine erhebliche Zahl der bisherigen Entscheidungen (insbesondere zum Demonstrationsrecht aber auch zur Maskenpflicht) zugunsten der Beschwerdeführer ausgesprochen hat. Dies ist umso bemerkenswerter, als normalerweise die Hoheitsträger zu etwa 90 % mit ihren jeweils zur Überprüfung gestellten Maßnahmen verwaltungsrechtlich bestätigt werden. Mithin zeigen die bisher ergangenen Entscheidungen, dass es sich die im Gesundheitsministerium zuständigen Referenten mit ihrem unter erheblichem Zeitdruck gefertigten Entwurf voraussichtlich zu leicht gemacht haben. Auch der ehemalige Bundesverfassungsrichter Udo di Fabio meinte in einem von ihm verfassten Beitrag in der FAZ, verfassungsrechtlich sei ein baldiger gestaffelter Exit dringend geboten. Ebenso forderte der ehemalige Präsident des BVerfG Hans-Jürgen Papier eine klare Befristung der Beschränkungen.

Die Grundrechtseingriffe waren und sind jedenfalls massiv. Die allgemeine Handlungsfreiheit, die persönliche Freiheit und damit das Recht auf freie Entfaltung der Persönlichkeit werden erheblich eingeschränkt. Mit Quarantäneanordnungen greift der Staat in das Recht der Freiheit der Person gemäß Art. 2 Abs. 2 Satz 2 GG sowie das Recht auf körperliche Unversehrtheit gemäß Art. 2 Abs. 2 Satz 1 GG ein. Ein Amtsarzt kann bei entsprechender Ermächtigung beispielsweise unter Anwendung von Zwang die Wohnung von infizierten Personen betreten und damit das Recht auf Unverletzlichkeit der Wohnung gemäß Art. 13 Abs. 1 GG beschränken. Mit dem Verbot der Ausübung körpernaher Berufe in Friseursalons oder Kosmetikstudios sowie dem Gaststättenverbot greift der Staat außerdem in die verfassungsrechtlich geschützte Berufsfreiheit gemäß Art. 12 GG ein. Versammlungsverbote und Gottesdienstverbote schränken das Versammlungsrecht gemäß Art. 8 GG sowie die durch Art. 5 GG garantierte Religionsfreiheit ein.
Die Bundesregierung stützt sich bei ihren Maßnahmen auf die generelle Ermächtigungsgrundlage des § 28 Abs. 1 Satz 2 IfSG, wonach staatliche Stellen zur Abwehr drohender Seuchen oder Infektionskrankheiten die notwendigen Schutzmaßnahmen ergreifen dürfen, um eine Gefahr für die Gesundheit der Bevölkerung zu beseitigen. Ob für solch weitreichende Grundrechtseingriffe die sehr allgemein formulierte Generalermächtigung in § 28 IfSG eine hinreichende gesetzliche Grundlage bietet, dürfte nach den bisher bekannt gewordenen Stimmen vor dem Hintergrund des Verhältnismäßigkeitsprinzips äußerst fraglich sein.

Grenzen setzt das Verhältnismäßigkeitsprinzip

Nach dem Verhältnismäßigkeitsprinzip darf der Staat auch in einer Ausnahmesituation nur soweit in die Substanz von Grundrechten eingreifen, als dies unbedingt erforderlich und ein milderes Mittel nicht ersichtlich ist. Die Maßnahmen müssen ferner geeignet sein, das angestrebte Ziel zu erreichen, nämlich eine Eindämmung der Infektionszahlen. Insbesondere Letzteres erscheint nicht zwingend gegeben zu sein, denn die Geeignetheit der ergriffenen Maßnahmen für den angestrebten Zweck ist wissenschaftlich bisher nicht eindeutig erwiesen und muss noch in der Praxis überprüft werden. Außerdem hat der Bund die Gesetzgebungskompetenz zum Teil durch Erlass des IfSG an sich gezogen. Voraussetzung dieser besonderen Eingriffsrechte des Bundesgesundheitsministers ist in allen Fällen, dass der Bundestag durch Beschluss eine epidemische Lage von nationaler Tragweite feststellt, § 5 Abs. 1 IfSG. Insbesondere die letzte Eingriffsbefugnis des Bundesgesundheitsministers wird unter dem Gesichtspunkt der Demokratie, der Gewaltenteilung sowie des Parlamentsvorbehalts von Verfassungsrechtlern ernsthaft kritisiert.

Nach allem könnte eine ganze Reihe der im Eiltempo gezimmerten Regeln zur Überprüfung beim Bundesverfassungsgericht landen. Auch in Zeiten der Pandemie gilt die Rechtsschutzgarantie gemäß Art. 19 Abs. 4 GG. Bürger können sich danach gegen jede Maßnahme der öffentlichen Gewalt gerichtlich zur Wehr setzen. Das Ausmaß gesellschaftlicher und rechtlicher Probleme infolge der Corona-Pandemie ist gigantisch. Eine wesentliche Aufgabe der Justiz wird alsbald darin bestehen, nach Abflachung der Pandemie peinlich darauf zu achten, dass die Einschränkungen der Freiheitsrechte auf den verschiedensten Gebieten so schnell wie möglich zurückgefahren und eine gesellschaftliche Gewöhnung an diese Beschränkungen vermieden wird.

Weiterer Verlauf der Epidemie auch juristisch von Bedeutung

Nach meiner Einschätzung wird die abschließende, höchstrichterliche Beantwortung der Frage der Verhältnismäßigkeit der Corona-Novelle und der auf sie gestützten Maßnahmen der Bundesregierung ganz entscheidend von dem weiteren Verlauf der Epidemie abhängen. Dieser erscheint unter Berücksichtigung der aktuellen Verlaufszahlen allerdings bei weitem nicht so gravierend, wie zunächst in alarmistischer Weise durch das Robert-Koch-Institut behauptet. Auch Wolfgang Schäuble hat in einem jüngsten Interview mit dem „Tagesspiegel“ hervorgehoben, dass man die Entscheidungen nicht allein den Virologen überlassen dürfe, sondern auch die gewaltigen ökonomischen, sozialen, psychologischen und sonstigen Auswirkungen abwägen müsse. Es hätte fürchterliche Folgen, einfach zwei Jahre lang alles stillzulegen. Auch der Herausgeber der Schweizer „Weltwoche“ Roger Köppel hebt hervor, ob es nicht sein könne, dass der Corona-Kurs ein Irrweg sei, das Resultat einer medial-epidemiologisch befeuerten Politpanik, die Milliarden an Volksvermögen vernichte und künftige Generationen auf Jahrzehnte hinaus belaste. Werde der Corona-Frühling des Jahres 2020 in die Geschichte eingehen als massenpsychologisches Hysteriephänomen, das mehr Existenzen ruiniert habe als die Krankheit selbst, die den ganzen Gesellschaften und ihren Regierungen vorübergehend den Verstand geraubt habe?

Als Opposition sollten wir uns nun im Hinblick auf die höchstwahrscheinlich zu verzeichnenden Rechtsverstöße sehr schnell aus unserer zu diesen Fragen bisher weitgehend passiven Rolle lösen und in aller gebotenen Nüchternheit aufzeigen, dass die Bundesregierung erneut die ihr durch den Rechtsstaat gezogenen Handlungsgrenzen überschritten hat. Dies erweist mit deutlicher Klarheit ein Blick auf die jedermann – unabhängig von der mir nicht zu Gebote stehenden medizinischen Expertise – zur Verfügung stehenden Zahlen des Robert Koch Instituts.

Anteil der Corona-Sterbefälle an allen Todesfällen nur 4-5%

Nach dem Bundesamt für Statistik wies die Bundesrepublik Deutschland bisher im Tagesdurchschnitt etwa zwischen 2.500 bis 2.600 reguläre Todesfälle auf. Seit der Meldung des ersten „Corona-Toten“ in Deutschland am 6. März 2020 ist nach der amerikanischen Johns-Hopkins-Universität bei uns seither von insgesamt 6.126 Corona-Sterbefällen (Stichtag 28. April 2020, 14:00 Uhr) auszugehen. Also machen die Fälle mit „Corona-Beteiligung” nur etwa 4,4 % der für den Bezugszeitraum ohnehin zu verzeichnenden Sterbefälle aus. Es ist dabei immer wieder hervorzuheben, dass in die Statistik der Johns-Hopkins-Universität auch die Sterbefälle eingehen, bei denen der mit Covid-19 infizierte Mensch letztlich an Altersschwäche oder einer anderen Ursache verstorben ist. Der Leiter der Rechtsmedizin des Hamburger Universitätsklinikums hat darauf hingewiesen, dass bei rund 100 von ihm durchgeführten Autopsien keine (!) Todesfälle zu verzeichnen waren, bei denen die durchschnittlich 80 Jahre alten Verstorbenen nicht gravierende Vorerkrankungen aufgezeigt hätten. Mithin dürfte die eigentliche „Corona-Sterberate“ in jedem Fall noch deutlich unter 4,4 % liegen.

Wie oben dargelegt, beträgt die Reproduktionsrate bereits seit Mitte März 2020 weniger als 1,0. Dieses Stadium war bereits vor jeglicher Corona-Maßnahme der Bundesregierung erreicht, sodass insoweit Auswirkungen des „shut down“ auf die Fallzahlen schlichtweg nicht zu verzeichnen sind, wir von daher mit sehr hoher Wahrscheinlichkeit den Höhepunkt der Krise bereits überschritten haben und künftig mit einem weiteren Abflauen der Fallzahlen zu rechnen sein wird.

Ein abschließender Blick auf die Statistik der Sterbefallzahlen wird dann zum Ende des Jahres erweisen, dass die Sterbefälle mit Corona-Beteiligung aus den ersten Monaten des Jahres nur minimal aus der Zahl regulärer Sterbefälle herausragen. Wenn die Wirkungen der aktuellen Gesundheitspolitik auf unser Land nicht so furchtbar wären, könnte man dies alles nur mit einem schlichten Kopfschütteln quittieren. Wie anders als mit reiner Hysterie kann man die aktuellen Maßnahmen der Bundesregierung denn sonst beschreiben.