Prozessbeobachtung bei Sucharit Bhakdis Freispruch

Der schleswig-holsteinische Mediziner und Mikrobiologe Prof. Sucharit Bhakdi musste sich am 23. Mai wegen des Verdachts der Volksverhetzung vor dem Amtsgericht Plön verantworten. Der Generalstaatsanwalt hatte ihm vorgeworfen, in einem Internet-Video und während einer Rede im vergangenen Bundestagswahlkampf seiner Partei „die Basis“ das jüdische Volk verunglimpft und den Holocaust verharmlost gehabt zu haben.

Meine Arbeit im Deutschen Bundestag erstreckt sich zu einem großen Teil darauf, die zunehmende Erosion unseres Rechtsstaats aufzuzeigen und kritisch zu hinterfragen. Mit einem solchen Vorverständnis und erheblicher Sorge habe ich daher als Prozessbeobachter der ersten Staatsgewalt an dem mutmaßlich durch eine politische Weisung an die Staatsanwaltschaft ausgelösten Verfahren teilgenommen. Wer beschreibt mein Erstaunen: ich bin angenehm überrascht worden.

Die Schleswig-Holsteinische Justiz ist den Ansprüchen eines Angeklagten an die Durchführung eines fairen Prozesses in maßstabsetzender Weise gerecht geworden. Dies ist in erster Linie der besonnenen, ruhigen und souveränen Verhandlungsführung des Vorsitzenden zu verdanken, der die Zügel trotz des erheblichen Medieninteresses und zum Teil von bis zu 300 vor dem Gebäude ausharrenden Unterstützern nicht eine Minute aus den Händen gab.

Schon kurze Zeit nach dem Beginn der Verhandlung legte der Richter den Beteiligten seine vorläufige Auffassung dar, wonach wohl kaum mit einer Verurteilung zu rechnen sei. Solche Äußerungen sind sehr riskant, weil auf sie oft mit einem Befangenheitsantrag reagiert wird. Aber hier wurde der Mut des Richters belohnt, denn das Verfahren konnte in unaufgeregter und sachlicher Atmosphäre innerhalb eines Verhandlungstages abgeschlossen werden. Nach der Verlesung der Anklageschrift erfolgte die Anhörung des bei der damaligen Wahlkampfrede anwesenden Einsatzleiters der Polizei und die Augenscheinseinnahme der beiden Videoaufzeichnungen im Verhandlungssaal. Die Sitzungsvertreterin der Anklage verzichtete auf einen zuvor gestellten Beweisaufnahmeantrag und die Verteidigung auf die Befangenheitsanträge. Auch in den Schlussplädoyers von Anklage und Verteidigung wurde problemorientiert zu den entscheidenden Rechtsfragen argumentiert und auf die sonst in vergleichbaren Fällen häufig zu verzeichnenden „Spitzen“ verzichtet. Nach nur kurzer Unterbrechung verkündete der Richter den Freispruch des Angeklagten. Die unmittelbar aufbrandenden Beifallsbekundungen aus der Zuhörerschaft unterbrach er mit kurzer, aber bestimmter Geste und konnte so die wesentlichen Gründe seines Urteils ohne weitere Unterbrechungen vortragen. Als Kern seiner Begründung sei hier lediglich hervorgehoben, dass der Anklage nicht gefolgt werden könne, weil sie die Rede des Angeklagten auf dem Kieler Rathausmarkt bewertet habe, ohne die Besonderheiten einer politischen Wahlkampfrede zu berücksichtigen und seine Äußerungen in dem Videobeitrag aus dem Zusammenhang gerissen und nicht berücksichtigt habe, daß er an dessen Ende zur Versöhnung und zum Dialog aufgerufen habe. Am Ende ist doch ein wenig Wasser in den Wein zu gießen, denn dem Vernehmen nach beabsichtigt der Generalstaatsanwalt, ein Rechtsmittel gegen die Entscheidung zu nehmen. Man muss für diesen Fall abwarten, ob auch das Landgericht Kiel seiner Aufgabe gerecht werden wird.

Zusammenfassend ist neben einem Glückwunsch an den Angeklagten anzumerken, daß die Justiz mit diesem Verfahren aufgezeigt hat, daß sie bei hinreichendem Mut der zuständigen Richter auch in heutiger Zeit ihren Ansprüchen an die Durchführung eines fairen Verfahrens gerecht werden kann. Zu meinem Bedauern scheint dieser Maßstab heute nicht mehr durchgehend Standard zu sein, wie insbesondere die Betrachtung diverser Entscheidungen während der vergangenen Corona Pandemie belegen. Auch dieses Verfahren zeigt einmal mehr, wie wichtig die von mir stets hervorgehobene Aufhebung des politischen Weisungsrechts der Justizminister über die Staatsanwaltschaften ist. Käme man endlich dieser auch von Seiten der Europäischen Union erhobenen Forderung nach, wäre dies ein wichtiger Baustein zur weiteren Stärkung der Unabhängigkeit der Justiz.